Wo steht der europäische Flag Football?
Mit einer Bestandsaufnahme machen wir den Auftakt der Berichterstattung zur am 18. August beginnenden Flag Football Europameisterschaft 2023 in Limerick.
Unser Gastautor1 Philipp Pölzl wirft einen Blick auf die anstehende EM und die Entwicklung des Flag Football in den USA und Europa.
Vor wenigen Wochen fanden in den USA die kontinentalen Flagfootballmeisterschaften mit Teams aus Nord- und Südamerika statt. Standesgemäß haben die beiden US-Teams die Titel geholt. Die Damen konnten sich für die Niederlage gegen Mexiko bei den World Games im letzten Jahr revanchieren, während die Herren somit seit 2008 bei einer Gesamtbilanz von ungefähr 58 Siegen und 1 Niederlage (sorry, das musste sein) stehen.
Über den Autor
Philipp Pölzl krönte sich als Quarterback des österreichischen Flagfootball Nationalteams 2012 zum Weltmeister. Mit seinem Verein, den Styrian Studs, gewann er die Champions Bowl und vier Staatsmeistertitel. In seiner Laufbahn wurde er mehrmals als „Most Valuable Player“ ausgezeichnet.
Der Jurist und Betriebswirt ist heute als Partner in einer Wertpapierfirma, als Vorstand in einem auf erneuerbare Energien spezialisierten Unternehmen und als Lektor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt tätig.
Er betreibt zudem den Flagfootball-Blog www.goforgold.at. Philipp Pölzl lebt mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in der Oststeiermark.
Philipp Pölzl hat seine sportliche Karriere in der Biografie "Quarterback" nachgezeichnet.
Während das Zuschauerinteresse am Sport nach wie vor gering ist, ist es den Organisatoren gelungen, mithilfe der IFAF und vor allem der NFL große Aufmerksamkeit in den sozialen Medien zu erlangen. Vor allem seit dem Bestreben Flagfootball olympisch zu machen, scheint die NFL „all-in“ zu sein, was das Thema Flagfootball betrifft. Aber ist sie das wirklich? Die nächsten Wochen werden zeigen, ob sie die europäischen kontinentalen Meisterschaften genauso unterstützt, wie die Amerikanischen. Im Sinne ihres Mottos „grow the game“, das auch international Gültigkeit hat, wäre das zu erwarten. Ich habe meine Zweifel daran, im Moment ist das Wachstum von Flagfootball in den USA scheinbar exponentiell, während es in großen Teilen Europas nur langsam wächst. Allein in den letzten 12 Monaten wurden in den USA die NFL Pro Bowl als Flagfootball-Bewerb ausgetragen, Flagfootball ist auf dem Weg offiziell anerkannter Damen-College-Sport zu werden und die AFFL (American Flag Football League) hat verkündet, dass sie 2024 erstmals als Profisport organisiert sein wird.
In Europa sieht es hingegen etwas anders aus. In knapp 3 Wochen2 wird die Flagfootball-Europameisterschaft 2023 in Limerick, Irland ausgetragen. Das ist schon seit längerem bekannt, viel mehr aber bis zum heutigen Tag nicht. Generell ist im europäischen Flagfootball wenig übergeordnete Struktur erkennbar. Auch die Medienarbeit lässt zu wünschen übrig, was gerade am Beispiel der Europameisterschaft gezeigt wird. 3 Wochen vor deren Beginn gibt es im Internet keinerlei Informationen über die Veranstaltung. Nach meinen Recherchen kann ich zumindest offiziell bestätigen, dass die Europameisterschaft in Irland stattfinden wird.
Der Präsident des irischen Footballverbandes Aidan Maguire verweist seit Wochen darauf, dass die IFAF „bald“ mehr Informationen veröffentlichen wird. Meine diesbezüglichen Anfragen an die IFAF blieben unbeantwortet. Wie viele Teams spielen mit? Welche Teams spielen mit? Wie sieht der Spielplan aus? Werden Spiele im Internet übertragen? Viele Fragen, keine Antworten. Angeblich haben sich für den Herrenbewerb 20 Nationen angemeldet, was einen sensationellen Rekord darstellen würde und man denkt darüber nach, die Mannschaften in vier Gruppen zu je fünf Teams einzuteilen. Die besten zwei jeder Gruppe sollten sich dann für die K.O.-Runde qualifizieren.3
Die Flag Football Europameisterschaften werden nicht zum ersten Mal auf der irischen Insel ausgetragen, schon im Jahr 2009 fand dieses Turnier in Nordirland statt. Ein Turnier, bei dem ich mein Debut im österreichischen Nationalteam geben durfte. Für die teilnehmenden Teams geht es heuer nicht nur um den Europameistertitel, sondern auch um die Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2024 in Finnland, die die größte Weltmeisterschaft aller Zeiten werden soll. Wie viele europäische Teams sich qualifizieren werden ist die nächste unbeantwortete Frage. Ich tippe auf acht Mannschaften, aber diese Angabe ist ohne Gewähr.
Ich habe in den letzten Wochen einige Gespräche mit Vertretern aus den meiner Meinung nach Top 8 Nationen Europas geführt: Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Israel, Italien, Österreich und Schweiz. Zumindest bei einem Thema herrscht Einigkeit: Jeder geht davon aus, dass Flagfootball einen ordentlichen Aufschwung erlangen wird, falls vom Internationalen Olympischen Komitee im Herbst eine positive Entscheidung bezüglich der Aufnahme der Sportart ins Programm der Olympischen Spielen 2028 in Los Angeles gefällt wird. Ob das wirklich so ist, wird man sehen, ich glaube aber, dass es keinesfalls ein Selbstläufer wird. Meine grobe Prognose für diesen Fall ist, dass sich in den nächsten Jahren in Europa die spielerische Qualität erhöhen wird, weil durch die olympische Motivation vermehrt auch Tackle Spieler auf den Flagfootball-Geschmack kommen werden. Für den Breitensport erwarte ich vor 2028 keine große Veränderung. Erst während der Olympischen Spiele führt die zwangsweise erhöhte mediale Präsenz zu mehr Aufmerksamkeit, was Vereine im Anschluss sicherlich geschickt zur Rekrutierung neuer Spieler nutzen werden. Richtig große Auswirkungen auf den europäischen Flagfootball erwarte ich daher frühestens erst in 10 Jahren. Die einzige Möglichkeit für einen diesbezüglich kürzeren Zeithorizont sehe ich nur, wenn der amerikanische Hype auf Europa überschwappt.
Buchinfo
"Quarterback" von Philipp Pölzl
Tredition Verlag, 2022
Hardcover / Taschenbuch
268 Seiten
24.90 € / 19,90 €
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Aber bis zur Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees dauert es noch ein paar Monate. Zeit genug, um mich auf die Berichterstattung in Bezug auf die Europameisterschaft und die Entwicklung des Sports in den Top 8 Nationen widmen zu können. Kurz vor der Europameisterschaft veröffentliche ich wie vor den World Games im vergangenen Jahr mein Power Ranking, danach berichte ich frei nach Clint Eastwood, was gut, was schlecht und was ganz schlimm (hoffentlich nichts) war. In den Wochen darauf veröffentliche ich eine Analyse der europäischen Flagfootball-Landschaft mit detaillierten Informationen zu den einzelnen Ligaformaten, der generellen Entwicklung und vor allem der Nachwuchsarbeit in den jeweiligen Ländern. Sobald das Internationale Olympische Komitee eine Entscheidung getroffen hat, werde ich diese natürlich umgehend kommentieren und zu guter Letzt wird mein Buch „Quarterback“ gegen des Ende Jahres auch auf Englisch erscheinen.
Stay tuned!
[1] Gastautoren und deren Beiträge spiegeln nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von FlagFootball.Rocks wider.
[2] Anm. d. R: Der Beitrag wurde erstmalig bereits am 31.7.2023 auf www.goforgold.at veröffentlicht.
[3] Anm. d. R.: Auch eine Anfrage von FlagFootball.Rocks blieb bisher unbeantwortet. Mittlerweile gibt es eine Pressemitteilung der IFAF in der die teilnehmenden Teams genannt werden. Zudem ist der teilnehmenden Mannschaften ein Spielplan übermittelt worden, den wir aber hier (noch) nicht veröffentlichen können.